6.4.16/Urs/Was ist Liebe?

Am 6.4.16 fragte Urs:

Lieber Hofnarr,
Was ist Liebe? Seit ein paar Wochen bin ich in einer neuen Beziehung. Bereits spüre ich aber, dass vieles wieder ähnlich läuft wie in meiner früheren Beziehung. Ich glaube, dass ich meine Freundin überfordere. Ich Liebe diese Frau, und ich möchte sie nicht wieder verlieren.
Vielen Dank für Deine Antwort.
Urs

Lieber Urs

Ich habe Deine Frage der Fachfrau weitergeleitet.
Hier Ihre Antwort:

Lieber Urs

diese Frage ist nicht mit einem Satz zu beantworten. Peter Goldman hat dies vor vielen Jahren einmal so formuliert:
"Während 30'000 Jahren lernte der Mensch überleben. Seit etwa 50 Jahren lehrt uns die Psychologie leben und wenn wir dies können, werden wir noch lieben lernen."

So lange wir überleben lernten, lebten wir in der Gruppenseele. Das heisst, die Gruppe bestimmte die Regeln, an die wir uns zu halten hatten. In matriarchalen Strukturen bestimmte man in der Gruppe, welchen Regeln man folgen wollte. Es gab Ältestenräte, und man suchte manchmal während Tagen nach Konsenslösungen, die für alle Beteiligten stimmten. Wenn zwei Lösungen sich gleichwertig gegenüber standen, und man sich nicht einigen konnte, trennten sich die Gruppen. Die Regeln der Gruppe standen über den individuellen Regeln. Der Einzelne musste sich den Regeln der Grupppe unterstellen. Wenn er sich weigerte, sich diesen Regeln zu unterstellen, wurde er aus der Gruppe ausgeschlossen und musste in der Wildnis verhungern.
Das Judentum und in dessen Folge das Christentum haben die Regeln der matriarchalen Gesellschaften ausgehebelt und patriarchale Strukturen durchgesetzt. Vater Gott, bzw. die Schriftgelehrten und später der Papst bestimmten die Regeln, nach denen die Menschen sich orientieren mussten. Die Folgen kennen wir. Auch innerhalb dieser Systeme wurde jeder ausgeschlossen, der sich nicht an die Regeln hielt. (Hexenprozesse und andere Verbannungen)
Ein Ausschluss aus der Gruppe bedeutete Ächtung und Lebensgefahr. Die Ehen und die familiären Strukturen funktionierten, da man sich gegenseitig brauchte. Man schloss Partnerschaften auf Grund der bestmöglichen, materiellen Sicherheiten und Versorgungsmöglichkeiten, die eine Partnerschaft brachte.

Inzwischen ist bei uns in der Schweiz das Überleben mehr oder weniger gesichert. Daher lernen wir jetzt langsam leben.
Man kann immer wieder folgendes beobachten: Zuerst ist man verliebt, dann hat man Kinder, man baut sich ein Haus, und wenn man Alles hat, kommen die Probleme. Solange wir noch am Aufbau der äusseren Strukturen sind, funktionieren die Beziehungen noch recht gut, weil man sich gegenseitig braucht. Sobald man leben könnte, fragt man sich:" Ja, war’s das denn schon, liebe ich meinen Mann (meine Frau) wirklich? Oder geht er/sie mir eigentlich auf die Nerven? Was will ich denn eigentlich? - Ist das Alles?" Wenn wir Glück haben, finden wir einen Psychologen, der uns hilft, uns selber zu werden, der uns zeigt, wie wir das leben können, was wir sind. Wir sind glücklich mit uns und können so sein, wie wir sind. Wir sind auf kein Lob angewiesen und können auch gut damit leben, wenn jemand uns ablehnt.

Wenn wir noch nicht allzusehr in Schulden oder anderen Abhängigkeiten verstrickt sind, verändern wir vielleicht unsere Arbeitsmöglichkeit, wir machen noch eine Ausbildung, und finden eine Möglichkeit, wie wir unsere Träume verwirklichen können, wir finden das, was sich in uns entfalten will. Wir finden das, was uns heilt und nährt in uns, in der Natur, in der Meditation, im Yoga und anderen nährenden Praktiken.
Wenn wir Pech haben kommen wir in die Hände eines "Psychologen" der uns mit Tabletten zuputzt und uns zeigt wie wir weiterhin innerhalb der gegebenen Strukturen funktionieren (Familiäre und wirtschaftlichen Abhängigkeiten). Dann bleiben wir weiterhin in der Gruppenseele hängen.
Die wenigen Menschen, die leben lernen und in diesem Leben das leben, was sie sind, die frei von äusseren Zwängen werden, die niemanden brauchen, um glücklich zu sein, in diesen Menschen erwacht die Individualseele. Diese Menschen lernen langsam Lieben.
Lieben heisst: In Freiheit miteinander zu Leben. Jeder übernimmt die Verantwortung für sein eigenes Glück. Mein Glück ist also nicht von einem anderen Menschen abhängig, sondern ich bin glücklich, egal ob ich allein bin oder ob ich mit jemandem zusammen bin. Lieben heisst: den Anderen und sich gegenseitig dort unterstützen, wo er das leben kann, was in ihm angelegt ist.
Ein Mensch, der in der Individualseele angekommen ist, verschenkt sich, er lebt in der Fülle und er achtet darauf, dass in seinen Beziehungen Geben und Nehmen ausgeglichen sind.

Wenn Geben und Nehmen ausgeglichen sind, gelingt eine Partnerschaft und wir werden mit dem Alter immer glücklicher und dankbarer.

Nach dem heutigen Stand der Dinge, leben aber noch die wenigsten Menschen in der Individualseele, daher können sie auch nicht lieben. Sie brauchen einander. Man kann sogar sagen: Sie missbrauchen einander. Sie sind abhängig von ihren Partnern / Partnerinnen und glauben, das sei Liebe.

Wir überfordern unsere PartnerInnen dann, wenn wir von ihnen erwarten, dass sie uns die Liebe und Zuneigung geben oder ersetzen, die uns unsere Eltern nicht geben konnten. (Aus welchen Gründen auch immer)

Im Buch: Männer lassen lieben, schrieb Wilfried Wieck, wenn ich mich richtig erinnere: "Jeder Mann hat eine Psychologin zu Hause, und die Frauen müssen bei einem Psychologen Hilfe suchen." Daher denke ich, kommen in meine Praxis 90 % Frauen und die Männer sagen: "Das habe ich nicht nötig!"

Indem aber die Männer ihre Frauen als Psychologinnen missbrauchen, fühlen sich die Frauen früher oder später überfordert und trennen sich von ihren Männern. (70 % der Scheidungen werden von den Frauen eingefordert.)

In der Regel ist es so, dass sich die Männer nach einer Trennung die nächste "Psychologin" suchen - und das gelingt ihnen meistens. Und sie glauben zunächst, das Problem habe sich damit gelöst. Das ist allerdings ein Trugschluss, denn oft kündigen sich die selben Spiele bereits nach kurzer Zeit wieder an.
Spätestens nach der dritten Beziehung könnten wir dann merken, dass wir uns immer wieder die selben Männer bzw. Frauen suchen. Der nächste Schritt wäre dann, zu realisieren, dass dies, ob wir es wahrhaben wollen oder nicht, etwas mit uns und nicht mit der Partnerin bzw. dem Partner zu tun haben könnte.

Die Variante, dass sich Frauen einen Psychologen suchen, gibt es auch, aber sie kommt etwas seltener vor.

Die Frauen suchen sich eher einen Vater, von dem sie erwarten, dass er ihnen all das gibt, was ihnen der Vater nicht gegeben hat. Sie suchen einen Mann, der sie beschützt und Verantwortung für sie übernimmt. Nach einer Weile merken sie aber, dass ihr Mann ihnen zwar genau das gibt, was ihnen der Vater gegeben hat: Zum Beispiel Schläge oder er sagt ihnen, was sie tun und lassen sollen...
So, und damit sind wir beim Spiel welches in den meisten Beziehungen läuft: Der Mann sucht sich eine Frau, die so ist wie seine Mutter. Die Frau sucht sich einen Mann, der so ist wie ihr Vater.

Wir machen dieses Spiel so lange, bis wir es erkennen, benennen und begreifen bzw. erlösen.

Dies können wir aber nicht alleine, da wir ja genau das, was uns so verletzt hat, in unserem Unterbewusstsein vergraben haben. Wir können und wollen es nicht mehr sehen. Daher brauchen wir die Hilfe eines guten Psychologen, der uns hilft, die Spiele zu erkennen und zu erlösen.

Bert Hellinger hat zu diesen Themen sehr viel geschrieben und die Familienaufstellungen sind ein guter Weg, der uns hilft, diese Themen anzuschauen.

Ebenfalls sind verschiedene Meditationspraktiken wie Musik, Yoga, Chi Gong, Tai chi, die Natur und vieles mehr hilfreich. Diese Techniken heilen aber allesamt die alten unerlösten Wunden nicht. Das ist eine Illusion, die uns zwar in Esoterikerkreisen immer wieder erzählt wird, aber nach meiner Erfahrung helfen die meisten Techniken im Augenblick, aber nicht auf Dauer. Sie stärken uns im Augenblick, mehr nicht.
Als erwachsene Menschen erkennen wir, dass wir selber für unsere Löcher und Defizite verantwortlich sind. Daher lernen wir, das, was uns fehlt, zu suchen und uns selbst zu geben.

Es geht darum, mit uns selber im Einklang zu sein und die Verantwortung für unser Glück und unser Unglück in die eigenen Hände zu nehmen.
Erst dann werden wir fähig, eine glückliche Partnerschaft zu leben.

Soweit also die Antwort der Fachfrau.

Herzlich, Hofnarr